Verhaltenscodex für Reiter in der Natur
Erarbeitet von der Arbeitsgruppe Wanderreiten des VWS
- Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme gegenüber allen anderen Nutzern sind die
obersten Prämissen für alle Reiter.
Sie sollten sich so verhalten, dass niemand geschädigt, bzw. mehr als unvermeidbar
beeinträchtigt werden kann.
- Fortgeschrittene Reiter haben auf unerfahrene Reiteleven besondere Rücksicht zu nehmen.
- Allen Nichtreitern wird mit Höflichkeit und Verständnis begegnet.
- Vorausschauend stellt sich der Reiter auf die ängste anderer Mitnutzer ein und. passiert sie im Schritt. Gegebenenfalls ist anzuhalten und der Weg frei zu machen.
- Lärm, Verunreinigung der Landschaft mit Abfall, Waldfrevel sowie Beunruhigung von Wild, soweit nicht unvermeidbar, verbietet sich für jeden verantwortungsbewussten Reiter.
- Jedes Hetzen von Wildtieren ist unzulässig.
- Bei Begegnung mit lagerndem Wild ist dieses im Schritt so zu passieren, dass es nicht mehr als unvermeidbar beunruhigt wird.
- Bei Begegnung mit sich bewegendem Wild sollte angehalten werden und der Ritt erst fortgesetzt werden wenn die Tiere außer Sichtweite geraten oder zur Ruhe gekommen sind. Im zweiten Fall ist wie unter Punkt. 7 beschrieben zu verfahren.
- Stark durch (unabhängig welcher) Nutzung beanspruchte Wege sind möglichst zu meiden damit der Untergrund sich regenerieren kann.
- Auf Wanderwegen sollte Arbeitstempo (bis ca. 250 m/Min. also höchstens 15 km/h) Maximaltempo sein. Wer dies mit seinem Pferd im Galopp nicht einzuhalten vermag sollte hier auf diese Gangart verzichten.
- Beschlagene Pferde sollten zur Schonung des Geläufs auf Wanderwegen ebenfalls nicht galoppiert werden. Bei Stollenbeschlag ist hier ausschließlich im Schritt zu gehen.
- Ackerflächen sollten im Winter erst ab einer Schneehöhe von über 20 cm beritten werden.
- Vor dem Bereiten von abgeernteten Kulturen muss sich der Reiter davon überzeugen, dass sich noch keine Neuansaat im Boden befindet.
- Pflegespuren sind nur nach Zustimmung des Eigentümers bereitbar.
- Dauergrünland zu bereiten verbietet sich bei einer durchschnittlichen Bewuchshöhe von über 20 cm.
- An Wegkreuzungen oder Weggabelungen sollten Reiter anderen Nutzern prinzipiell den Vortritt (Vorfahrt) lassen. Das schult die Disziplin von Pferd wie Reiter und erhöht die Verkehrssicherheit.
- Jeder Reiter ist selbst verantwortlich, dass er sich gemäß seines und seines Pferdes Ausbildungsstandes (physisch wie psychisch) in der Natur bewegt.
- Jeder Reiter hat verantwortungsbewusst die Aspekte des Tierschutzes zu beachten (Nicht alles, was manchem Reiter Spaß bereitet ist auch gut für das Pferd oder auch ein anderes Tier).
- Der Schutz von Natur und Umwelt wird in allen Aktivitäten beim Reiten in unserer Landschaft berücksichtigt.
Anforderungen an ein gut für seine Aufgaben gerüstetes Wanderreitpferd
Grundsätzlich kann man davon auszugehen, daß ein Wanderreitpferd ein »Allrounder« ist, also ein Multitalent für alle Eventualitäten, die die Praxis im Gelände mit sich bringt.
- Exterieur
Da seine Aufgaben anspruchsvoll und vielseitig sind, sollte es ein korrektes, in seiner Gesamtheit harmonisches,
wohlproportioniertes Fundament mit typischen Reitpferdeeigenschaften besitzen.
Die Größe des Tieres ist relativ unerheblich, so lange sie mit der des Reiters weitestgehend harmoniert.
Es muß nicht 1,80m groß sein und 2m hoch springen können. Ein zu großes Pferd ist im Gelände eher hinderlich.
Von Vorteil ist eine gewisse Leichfüßigkeit, die ihm das Bewältigen relativ großer Strecken in schwierigem
Terrain erleichtert.
Es sollte in den Gelenken gut gewinkelt sein, um die Arbeit der Muskulatur optimal in Bewegung umsetzen zu können.
Die Hufe sollen möglichst korrekt geformt sein und eine gute Hufsubstanz (Festigkeit) aufweisen.
So erübrigt sich ein permanenter Hufschutz. Dies ist besonders auf felsigen Strecken von Vorteil.
Der Wanderreiter erspart sich somit eine Menge Zusatzausrüstung und ist somit auch vielfach unabhängiger.
Nur eine verschwindend geringe Anzahl von Pferden hat solch schlechte Hufveranlagung, daß sie nicht barhuf
geritten werden können. Das übrige muß durch die Art der Hufpflege und die Reitweise gewährleistet werden.
- Interieur
Unter Interieur versteht man die Gesamtheit der geistigen Veranlagung eines Tieres. Es zeigt sich in Temperament,
nervlicher Veranlagung, Umgänglichkeit und Lernfähigkeit.
Das Wanderreiten erfordert ein lernfreudiges, nervenstarkes Pferd, das gelernt hat mit seinen ängsten umzugehen.
Deshalb ist es von Vorteil, wenn das Tier aus einer konsequenten Interieurzucht stammt. Ein Pferd sollte für
diesen Verwendungszweck eine hohe Lernfähigkeit aufweisen, denn das zu bewältigende Lernpensum ist gewaltig,
sind doch hierbei alles andere denn Fachidioten gefragt.
Es sollte gut sozialisiert sein (durch entsprechende Haltungsbedingungen und sachkundigen Umgang) und somit
entsprechend einfach im Handling.
Unternehmen wir etwas mit einem Pferd, so gehen wir mit ihm eine soziale Allianz ein. Dabei ist es von Vorteil,
wenn es sich um ein Pferd handelt, das durch möglichst artgerechte Haltung im Herdenverband gelernt hat
sich in eine Gemeinschaft einzufügen. Ohnehin sind Tiere, die artgerecht gehalten werden weitestgehend Neurosefrei,
zeigen also keine krankhaften psychischen Auffälligkeiten. Damit sind sie für einen Reiter, der über
die Psychische Grundstruktur seines Tieres ausreichend Kenntnisse besitzt, weitestgehend berechenbar.
Außerdem sind solche sozialisierte Individuen eher bereit, sich unterzuordnen, solange das Geschehen
für es nachvollziehbar erscheint.
Ohnehin bin ich der überzeugung, daß diese unsere Ziele, ohne eine artgerechte Haltung und eine ganzheitliche
Betrachtung auf Dauer nicht möglich sind.
Wanderreiten - Was ist das?
Seit geraumer Zeit rätseln wir, d.h. einige aktive Outdoorreiter, weshalb sich so wenige Reiter
dazu entschließen können W. zu praktizieren. Unsere Meinungen gingen da etwas auseinander.
Da gab es einerseits die Meinung, dass in der aktiven Reiterschaft gar kein Interesse bestehe
draußen zu agieren, da sie ihren Platz bereits in der Sportreiterei gefunden hätte und potentielle
Wanderreiter für die Zukunft seien eher in der nicht reitenden Bevölkerung zu finden.
Diese Meinung entsprach nicht meiner Erfahrung. Nach der ist es vielmehr so, dass bei fast allen,
wenn sie zum ersten Mal vom Reiten träumen; vor ihrem geistigen Auge ein Ritt durch die Natur stattfindet.
Beginnen sie dann auf die übliche Art ihre Reiterkarriere, dann werden sie »gerade gerückt«
und in ihre Köpfe der Gedanke eingepflanzt: »Die Buschreiter und Wanderreiter sind die Dilettanten
und nur die Turnierreiter die Könner«. So wird meist ein Ehrgeiz erzeugt, wer will denn nicht als
guter Reiter gelten, der ursprüngliche Wunsch vergessen und oft bis in späte Jahre eine ungerechtfertigte
Aversion gegen eine vorwiegend im Gelände stattfindende Aktivität erzeugt. Gutes Reiten findet bei
dieser Auffassung auf dem Platz statt. Raus geht es nur zu Jagden oder bei gelegentlichen Ausritten.
Dort wird dann allerdings meist die »Sau raus gelassen« und im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Hintern
eingerissen, was man vorher mühselig auf dem Viereck versucht hatte aufzubauen. So gerittene Pferde
wissen dann schon was kommt und es wird oft schon als normal betrachtet, wenn Reiter »abtropfen« und
Tiere durchgehen. Als Bester gilt meist der, der die wenigsten Schrammen davongetragen hat. Eine große
Anzahl derer, die sich nicht mehr trauen draußen zu reiten, zeugt davon
.
Jetzt kenne ich noch einen weiteren Aspekt, weshalb so wenige sich zum Wanderreiten entschließen.
Vor einigen Wochen fand im Erzgebirge eine Veranstaltung statt, die als »Wanderritt« deklariert war.
Seitdem haben wir im Kreis unserer Mitstreiter endlich eine klare Definition von dem Wort:
»Wanderreiten ist eine ausschließlich auf Grobschotter, Asphalt oder Beton stattfindende Bewegung
zu Pferd in einem Tempo, das selbst Senioren unter den Fußwanderern locker mitzuhalten vermögen.«
(Zitat: Teilnehmer Peter Stößer nach ca. 15 km in 4Std.)
Die von uns teilnehmenden Aktiven aus der Rubrik »Angewandtes Westernreiten« wurden bei der Halbzeit
dieses Rittes disqualifiziert, da ihr Schritt zu schnell war!!!
Das sagt wohl alles darüber aus, was bei »normalen« Pferdesportlern unter W. verstanden wird.
Diese Haltung wird dann allerdings noch bestärkt, wenn jemand, der sich »Wanderreiter mit Zertifikat«
nennt auf einer Messe verkündet: «Wanderreiten findet nur im Schritt statt.«
Papier ist eben geduldig.
Offensichtlich stand in dem Zertifikat nicht drin welch starke gymnastizierende Wirkung der Schritt haben kann,
aber auch wie er den Organismus be- bzw. überlasten kann, wenn das Maß nicht eingehalten wird. Wenn das
Pferd auf einer längeren Strecke müde wird, geschlaucht vom ewigen Schritt, dann beginnt es auf der Vorderhand
zu »latschen« mit allen negativen Auswirkungen auf Hufe, Karpalgelenke, Schulter und Rücken.
Genau das vermeidet ein verantwortungsbewusster Reiter. Da ein Wanderreiter nicht selten sechs oder
mehr Stunden am Tag unterwegs ist muss er mehr als jeder andere Pferdesportler mit der Kraft und den
Gangarten seines Tieres haushalten lernen. Er muss sein Reittier wie jeder andere Pferdesportler auch
lösen und versammeln können.
Während bei der Platzarbeit dies im Allgemeinen eine Dreiteilung darstellt (Lösung Versammlung Lösung),
muss dies der Outdoor Reiter im ständigen Wechsel tun, u. a. den Geländeerfordernissen und der Beschaffenheit
des Geläufs geschuldet. Es ist bei bestimmten Untergrundverhältnissen für das Tier weniger kraftraubend
im Galopp zu gehen, als in Schritt oder Trab. Vor Jahren habe ich mal erlebt, wie meine Araberstute als frei
laufendes Packpferd eine schwierige Passage im Tölt meisterte. Es ist schließlich kein Zufall, dass Pferde
auch in der Natur mit verschiedenen Gangarten ausgestattet sind und sie auch nutzen.
Unter dem Sattel bei langen Touren liegt es in der Erfahrung und dem Gefühl des Reiters das Pferd locker
zu halten und mit seiner Energie zu haushalten. Untergrundbewusstes Reiten ist besonders bei Barhufgängern
angesagt und kann, wenn es der Mensch beherrscht ein enormes Hufwachstum anregen, was dann auch längere
Strecken selbst in bergigem Gelände möglich macht.
Ein guter Wanderreiter geht von einer ganzheitlichen Betrachtung seines Partners aus. Dies setzt eine möglichst
artgerechte Haltung des Pferdes wie auch einen ebenso artgerechten Umgang mit ihm voraus. W. ist für mich
auch die schlechthin natürlichste Nutzungsform des vierbeinigen Nomaden. Ein Tier, das nur bei gutem Wetter
nach draußen kann, gegen viel Sonne oder auch Regen geschützt werden muss (dies glauben ohnehin nur unbedarfte Besitzer),
das auf eine ganz spezifische Futterzusammensetzung geeicht ist und ohne Decke und Box nicht auskommt macht
einen sorgenfreien Wanderritt über eine oder mehrere Wochen zu einem unerfüllbaren Traum.
Mehr als bei jedem anderen Pferdesportler ist es für den Wanderreiter eine Notwendigkeit über die psychischen
Belange seines Partners im Bilde zu sein, denn ein hohes Maß an mentaler Kontrolle ist für ihn unverzichtbar
und die ist ohne Kenntnis der psychischen Grundstruktur des Tieres nicht möglich. Er muss seinen Partner
de-sensibilisieren gegen Störungen von außen und gleichzeitig sensibilisieren auf die Hilfen des Reiters.
Leider ist es eine Tatsache, dass für viele Pferdesportler das Wort Tierpsychologie ein Fremdwort darstellt
und selbst Ausbilder erschreckend wenig darüber wissen. Da wird den armen Schülern beigebracht eine halbe
Tonne unbändiger Kraft unter dem Po mechanisch zu dirigieren, aber sie werden nicht darüber aufgeklärt wie
dessen Steuerzentrale funktioniert. Dies bedeutet buchstäblich das Pferd vom Schweif her aufzäumen.
Das kann eine bestimmte Zeit auf einem eingezäunten Areal noch klappen, aber auf Dauer und im Gelände
sind dann die Grenzen des Machbaren sehr eng gesteckt, denn allein mit der physischen Kraft ist der Mensch
nun mal gegen ein Pferd machtlos.
Wanderreitpferde müssen natürlich genauso intensiv ausgebildet und mehr noch erzogen werden.
Eine Tour mit einem Tier, das unfähig ist sich vorsichtig und aufmerksam durch einen Bach zu tasten,
oder seine Beine am Hang zu sortieren wird wohl eher zum Alptraum. Muss bei einem Pferd in einer Reitergesellschaft,
wie bei oben erwähnter Veranstaltung, eine rote Schleife in den Schweif gebunden werden, dann hat der Reiter
seine Hausaufgaben nicht gemacht - die meisten Probleme des Pferdes sitzen auf seinem Rücken.
Reinhart Kraft